Gastbeitrag: Warum Vertrauen so wichtig und Loslassen so schwer ist
Es war ungefähr ein halbes Jahr, bevor ich zum ersten Mal schwanger wurde. Ich saß mit meiner Freundin, die bereits eine kleine Tochter hatte, auf einem Spielplatz im hippen Berlin Prenzlauer Berg. Seit meine Freundin Mutter war, waren unsere Mädels-Abende selten geworden und ich dachte, wir könnten uns nun einen schönen Quatsch-Nachmittag machen, während das Kind im Sand buddelt.
Ich fing gerade an vom neusten Büro-Klatsch zu erzählen, da sprang meine Freundin auf und sagte: „Clara, geh da vom Gebüsch weg. Da ist es dreckig.“ Dann setzte sie sich wieder. Ich erzählte weiter. Bis meine Freundin aufsprang und rief: „Clara, Vorsicht, das Holz ist nass. Nicht, dass Du beim Balancieren abrutschst.“ Ich war irritiert, setze meine Geschichte aber fort. „Süße, geh nicht zu nah an die Schaukeln, da sind andere Kinder drauf, die Dich treffen könnten.“ Ich merkte, dass ich meiner Freundin auch erzählen könnte, ich sei gerade von einer Nordpol-Expedition zurückgekehrt – sie hatte eh nur Augen und Ohren für ihr Kind. Die Rutsche war zu nass, das Klettergerüst zu hoch, die anderen Kinder zu wild. Nach einer Stunde verabschiedete ich mich und schnaubte wütend an der nächsten Ecke: „So werde ich nie als Mutter sein.“
Ach ja, ich war die perfekte Mutter – bis ich selbst Kinder bekam.
Denn als meine Tochter dann im selben Alter war wie Clara damals, konnte ich meine Freundin plötzlich ziemlich gut verstehen. Wir Mütter haben unsere Antennen nonstop aufgestellt. Wo könnte dem Kind was passieren? Geht‘s ihm gut? Ist ihm kalt oder zu warm? Hunger? Durst? Müde?
Und trotzdem ist mir diese Spielplatz-Szene mit Clara niemals aus dem Kopf gegangen. Ich habe mich von Beginn meiner Mutterschaft gezwungen, meinen Kindern etwas zuzutrauen. Wenn die Rutsche nass ist, spürt das Kind das recht schnell selbst. Wenn es beim Klettern an seine Grenzen kommt, wird es mich rufen. Wenn es Hunger hat, wird es sich melden. Das Gute: Immer, wenn ich versucht war, in das Übermutter-Schema zu rutschen, rückte mir mein Mann den Kopf zurecht. Väter sind generell einfach lässiger mit Herausforderungen. Er sagte oft zu mir: „Sie kann das allein“, wenn ich schon aufspringen wollte, um zu helfen.
„Ich kann das schon alleine“– ein Satz, den jede Mutter toll findet - und zugleich erschreckend. Denn es fordert uns persönlich heraus. Wieviel trauen wir unserem Kind wirklich zu?
Ich bin überzeugt, dass ein Großteil der Eltern folgende Sätze viel häufiger sagen sollte:
1. Du kannst das!
2. Versuch es gleich noch mal!
3. Trau dich!
Doch bei allem Zutrauen – natürlich müssen wir ständig abwägen, wo wir uns fahrlässig verhalten. Wann ist das Kind vielleicht übermütig und will zu schnell zu hoch hinaus? Wann müssen wir die Hand hinhalten? Und wann können wir tatsächlich mal entspannt auf einer Bank sitzen und einfach nur zuschauen? Wie immer ist es wohl das berühmte Bauchgefühl, auf dass es ankommt. Ihr kennt Euer Kind am besten. Ist es ein kleiner Draufgänger, der mit dem Kopf durch die Wand will und nur ungern nach Hilfe fragt? Oder ist es ein schüchternes Pflänzchen, das viel Ermutigung braucht und Zuspruch? Ich bin nun seit fast sechs Jahren Mutter und meilenweit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber ich glaube daran, dass Kinder Erfolgserlebnisse brauchen, um stark und selbstbewusst zu werden. Dass Ermutigung immer der bessere Weg ist. Manchmal ist es schwer für uns Mütter auszuhalten, wenn Kinder Dinge plötzlich alleine können. Denn das heißt ja, dass sie groß werden. Eigenständig. Und uns vielleicht irgendwann nicht mehr brauchen. Dann tut es vielleicht gut, eine andere Bezugsperson dazu zu holen – den Vater, die Patin, die Oma, und diese nach ihrer Einschätzung zu fragen. Oft ist ein Blick von außen heilsam und rückt unsere Bedenken wieder zurecht.
„Ich kann das schon alleine“ – ist eigentlich ein wunderbarer Ausspruch eines Kindes. Weil er zeigt, dass das Kind sich etwas zutraut, dass es ein Ziel hat und an sich glaubt. Was können wir uns Schöneres wünschen? PS: Natürlich gibt es auch einen Moment, an dem ich „Ich kann das alleine“, so gar nicht gerne höre... Und zwar Montagmorgen, wenn wir eigentlich schon längst unterwegs sein müssten und das Söhnchen darauf besteht, sich in aller Ruhe die Schuhe alleine anzuziehen.
Zur Autorin: Katharina Nachtsheim ist Bloggerin und Journalistin. Sie lebt mit Mann und bald drei Kindern in Berlin.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf stadtlandmama.de
#ichkanndassschonalleine – die Kampagne der AXA Kindersicherheitsinitiative
Es ist toll, wenn Kinder ihre Eigenständigkeit entdecken. Aber im Alltag kann das einen auch ganz schön fordern, weil man entscheiden muss: Traue ich das meinem Kind zu? Was kann passieren? Ist das Risiko vertretbar?
Die meisten Eltern sind sich einig, dass es weder gut ist, sein Kind in Watte zu packen, noch das Gegenteil.
Aber wie findet man das richtige Maß? In unseren Interviews für den AXA Kindersicherheitsreport hat sich gezeigt, dass das ein großes Thema für Eltern ist. Mit unserer Kampagne wollen wir Eltern unterstützen, bewusst und selbstbewusst zu entscheiden. Wer kennt ein Kind schon besser als Mutter oder Vater? Wer seinen Nachwuchs im Alltag beobachtet, kann in der Regel gut einschätzen, was man ihm zutrauen kann ‒ mit gesundem Elternverstand sozusagen.
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