Künstliche Befruchtung: Wege zum Wunschkind
Die Möglichkeiten der modernen Medizin
Etwa 10 Prozent der Ehen bleiben in Deutschland ungewollt kinderlos. Mit den Methoden der modernen Medizin kann vielen Paaren heute geholfen werden. Erfahren Sie mehr zur Kinderwunschbehandlung und weiteren Themen durch die Experteninterviews.
Experteninterviews rund um den Kinderwunsch
Herr Prof. Dr. Steck, hat die Lebensführung mit der Fruchtbarkeit zu tun?
Durchaus. Wir wissen, dass sowohl Übergewicht als auch Untergewicht den Zyklus der Frau beeinflussen. Zu den Negativfaktoren gehören auch Rauchen, Alkohol und andere Drogen, die bei der Frau Hormonstörungen und Probleme bei der Eireifung und -Einnistung auslösen können, beim Mann mindern sie Samenmenge und Qualität. Wenn allerdings organische Ursachen vorliegen, richtet die Lebensführung alleine natürlich nichts aus.
Sind psychische Aspekte wie Stress beteiligt?
Bei Frauen können sich psychische Belastungen auf den Zyklus auswirken. Meist spielt Stress aber eher die Rolle als Störfaktor ungezwungener Sexualität. Unter Stressbedingungen reduzieren sich häufig die sexuellen Kontakte. Bei Fernbeziehungen zum Beispiel hält sich der Eisprung nicht ans Wochenende. Ein lange nicht erfüllter Kinderwunsch kann zusätzlich frustrieren: Das Paar verliert die Lust und unter dem Vorzeichen „Wir müssen aber!“ können Probleme beim Verkehr entstehen.
Welche konservativen medizinischen Möglichkeiten gibt es in der Kinderwunsch-Therapie?
Wir setzen Medikamente nur ein, wenn klar zu erkennen ist, dass eine behandelbare Hormonstörung oder eine Entzündung vorliegt. Eine Hormonbehandlung hat lediglich die Aufgabe, der Frau einen Eisprung zu verschaffen. Bei Männern haben wir in eingeschränktem Maß die Möglichkeit, hormonell die Spermienqualität zu verbessern – in 90 Prozent der Fälle ist das aber nicht angezeigt.
Welche Therapien der künstlichen Befruchtung gibt es, mit welcher Aussicht auf Erfolg?
Bei leichter Einschränkung der männlichen Zeugungsfähigkeit, Problemen beim Verkehr aber auch bei anatomischen Hindernissen kann man die Insemination einsetzen. Zum Zeitpunkt des Eisprungs wird ein „Spermienpaket“ mit einer leistungsfähigen Auslese von Samen gepackt und direkt an den Ort der Befruchtung gebracht. Eine solche Insemination kann man drei- bis viermal mit vergleichsweise geringer Belastung versuchen.Sehr viel aussichtsreicher ist es, Eizellen außerhalb des Körpers unter Aufsicht mit Spermien zusammen zu bringen. Die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion, kurz ICSI, ist eine Weiterentwicklung der in-vitro-Fertilisation. Dabei wird die Samenzelle direkt in die Eizelle eingebracht, auch bei extrem schlechter Spermienqualität kann man die Befruchtung damit sozusagen erzwingen.
Das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft ist doch sicher eine bedeutende Belastung bei der Behandlung?
Bei einer konservativen Behandlung mit Hormonen, ja. Hier haben wir ein sehr viel höheres Risiko als bei einer künstlichen Befruchtung. Bei in-vitro-Fertilisation und ICSI ist es möglich, das Mehrlingsrisiko nach oben zu begrenzen durch den Transfer von zwei oder sogar nur einem Embryo – der natürlichen Zeugung steht hier nur noch eine Häufigkeit von 1,2 % Zwillingen und 0,013 % Drillingen gegenüber.
Wie leben Paare mit der definitiven Diagnose „kinderlos“?
Es gibt Paare, denen wir leider nicht helfen können, sehr häufig aus Gründen ihres Alters. Dann ist es wichtig, die Kinderlosigkeit anzuerkennen und zu akzeptieren. Wir sagen schon frühzeitig, dass der Wunsch nach einem eigenen Kind auch bei einer Kinderwunschbehandlung nicht der wichtigste Lebensinhalt sein darf. Es darf nicht ein Kind um jeden Preis sein. Andererseits können wir vielen Paaren helfen, wenn sie früh genug zu uns kommen.
Herr Professor Steck, wir danken Ihnen sehr für die ermutigenden und offenen Auskünfte.
Herr Dr. Bühler, wie viele Befruchtungs-Behandlungen werden in Deutschland jährlich durchgeführt? Mit welchen Erfolgen und Risiken?
2011 wurden in den 128 Kinderwunschzentren in rund 90.000 Behandlungszyklen fast 50.000 Frauen behandelt. Bei ungestörter Eierstockfunktion kommt es bei der konventionellen in-vitro-Fertilisation im Mittel aller Altersklassen in 36,1 Prozent aller Embryo-Transfers zu einer Schwangerschaft.
Kann man im Ausland mehr?
In europäischen Nachbarländen ist auch die Eizell-Spende erlaubt, wenn sich in zunehmendem Alter die Eizell-Reserve und die Qualität der Eizellen verringert hat. Darüber hinaus ist es dort zugelassen, das Befruchtungsprodukt genetisch zu untersuchen, was allerdings auch keine hundertprozentige Sicherheit liefert. Für eine junge Frau macht es aber im allgemeinen keinen Sinn, diese Möglichkeiten zu nutzen, wenn nicht eine besondere genetische Belastung vorliegt.
Warten die Paare zu lange mit ihrem Kinderwunsch?
Nach einer Allensbach-Untersuchung glaubt rund die Hälfte der Bevölkerung, dass es über Vierzig allenfalls ein bisschen schwieriger wird, ein Kind zu bekommen. Der Anteil von über 35-jährigen Frauen, die eine Kinderwunschbehandlung auf sich nehmen, ist in den letzten 16 Jahren von 38,7 auf 54,4 Prozent gestiegen. Es ist noch viel zu wenig bekannt, das die monatliche Schwangerschaftschance ab dem 32./33. Lebensjahr kontinuierlich abnimmt. Die durchschnittliche Wartezeit von Paaren ist seit 1997 zwar von 5,25 auf 3,65 Jahre gesunken – aber auch das ist viel zu lang. Es muss noch mehr Aufklärung über die natürlichen Schwangerschaftschancen geben. Ein Paar sollte nicht mehr als sechs Monate warten, wenn es trotz regelmäßigem ungeschützten Verkehrs nicht zu einer spontanen Schwangerschaft kommt.
Was sollten Paare bei der Suche nach einer Kinderwunschpraxis beachten?
Das ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Die nunmehr 130 Kinderwunschzentren in Deutschland befinden sich alle auf einem sehr guten Standard, sie werden bei ihrer Eröffnung und danach jährlich überprüft. Die Reproduktionsmedizin in Deutschland zeichnet sich im internationalen Vergleich durch eine hervorragende Qualität aus, und die Versorgung ist flächendeckend. Im Einzelfall geht es darum zu entscheiden: Welcher Stil passt mir? Größere Zentren besitzen natürlich eine höhere Behandlungsroutine, bei kleineren Praxen kann die individuelle Betreuung besser ausfallen. Wichtig ist es, sich gut zu informieren und sich auch offen mit anderen auszutauschen – eine Kinderwunschbehandlung sollte heute ja kein Tuschelthema mehr sein.
Welche Risiken bringt eine Befruchtungsbehandlung mit sich? Viele denken da an Mehrlingsgeburten und Fehlbildungen…
Das Risiko einer Drillingsgeburt hat heute deutlich abgenommen. Die Zahl der übertragenen Embryonen wurde von 1997 bis 2010 um 20 Prozent reduziert – das hört sich nicht spektakulär an, aber die Zahl der Drillingsgeburten hat sich damit um 80 Prozent verringert. An allen Mehrlingsgeburten in Deutschland hat die Reproduktionsmedizin gerade einmal einen Anteil von 16 Prozent. Wenn wieder einmal Vierlinge, Fünf- oder Sechslinge durch die Presse gehen, hat das mit Befruchtung im Reagenzglas nichts zu tun.
Was Fehlbildungen angeht, hat man natürlich immer noch mit Vorurteilen zu tun. Die Reproduktionsmedizin geschieht in den gleichen natürlichen Prozessen und deshalb kommt es hier nicht zu mehr Fehlbildungen als bei spontanen Schwangerschaften.
Wir haben in 30 Jahren so viele Fortschritte gemacht. Was uns auferlegt bleibt, sind die Grenzen der Natur. Wir müssen immer wieder betonen, dass Reproduktionsmedizin keine Hexerei ist. Es wäre sehr wünschenswert, dass der Kinderwunsch wieder in die Lebensphase zurückkehrt, in der das reproduktive Fenster auch geöffnet ist.
Vielen Dank, Dr. Bühler, für das klare Schlusswort und das ehrliche Gespräch.
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