Kevin allein zu Haus - Ab welchem Alter können Kinder alleine bleiben?
Interview mit Julia Spätling, Deutsche Familienstiftung Fulda
Ab wann man Kinder alleine zu Hause lassen darf, entscheiden Eltern nicht allein. Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Kinder vor Schaden zu bewahren und darauf zu achten, dass auch die Kinder niemandem Schaden zufügen. Soweit die Theorie. Tatsächlich müssen Eltern irgendwann entscheiden, ob sie ihre Kinder alleine lassen können, ohne dass jemand zu Schaden kommt. Wir haben die Diplom-Heilpädagogin Julia Spätling gefragt, was Eltern dabei beachten sollten.
Frau Spätling, was empfehlen Sie den Eltern, ab wann sie ihre Kinder alleine lassen können?
Eine allgemeingültige Altersangabe gibt es dafür leider nicht. Es liegt letztlich doch im Ermessen der Eltern. Sie kennen ihr Kind am besten und wissen, was sie ihm schon zutrauen können und was nicht. Der Gesetzgeber sieht vor, dass Eltern bei dieser Entscheidung das Alter des Kindes, seine Verständigkeit, seinen Charakter und die Situation berücksichtigen müssen. Was das konkret bedeutet, haben in der Vergangenheit tatsächlich schon Gerichte klären müssen. An den folgenden Fragen kann man sich ganz gut orientieren.
- Wie reif ist mein Kind geistig? (Hat es noch allzu oft Blödsinn im Kopf?)
- Hat es möglicherweise Angst vor dem Alleinsein?
- Wie schnell kann ich zu Hause sein, wenn doch etwas passiert?
- Kann das Kind mich per Handy erreichen, wenn es Angst bekommt? Dazu muss das Kind in der Lage sein, alleine zu telefonieren. Durch das Gespräch kann die Zeit überbrückt werden, bis man zu Hause angekommen ist.
- Ist die Wohnung kindersicher?
- Und die ganz zentrale Frage: Ist mein Kind damit einverstanden, alleine zu bleiben?
Das Kind sollte auf jeden Fall in die Entscheidung miteingebunden werden. Damit trainiert man auch gleich Selbstverantwortung und Selbsteinschätzung des Kindes.
Oft schütteln andere Eltern den Kopf, wenn sie der Meinung sind, man habe seine Kinder zu früh ohne Aufsicht gelassen …
Andere sind mit ihren Urteilen gerne schnell bei der Hand. Meine Empfehlung ist, auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Die Meinung anderer ist dabei nicht unbedingt hilfreich.
Macht es einen Unterschied, ob man das Kind tagsüber oder abends alleine lässt?
Im Grunde nicht. Es gelten die gleichen Regeln. Wichtig ist, dass das Kind weiß, dass es alleine ist, wo die Eltern zur Not erreichbar sind und dass die Eltern bei Bedarf schnell wieder zu Hause sein können. Kinder brauchen Geborgenheit, um sich sicher zu fühlen. Wenn sie wissen, dass sie sich auf die Eltern verlassen können, werden sie auch kein Problem damit haben, hin und wieder für kurze Zeiträume alleine zu bleiben. Eltern sollten sich dabei unbedingt an ihre Zeitangaben halten, sonst kann das Kind nicht darauf vertrauen. Kinder warten immer auf ihre Eltern. Wenn man sich nicht an vereinbarte Zeiten hält, bedeutet das immer unterschwelligen Stress für die Kinder.
Denken Sie, Geschwisterkinder haben es leichter?
Ja, Geschwisterkinder können sich emotional gegenseitig stützen. Daher ist es oft so, dass man sie zusammen länger alleine lassen kann, als ein einzelnes Kind. Anderseits kann auch das Gegenteil passieren: Auch Angst ist ansteckend. Vor allem darf das ältere Kind nicht überfordert werden, indem man ihm die Verantwortung für das jüngere Geschwisterkind überträgt, wenn es dazu noch nicht bereit ist. Aber wie bei allen Dingen, bei denen man Kindern etwas zutraut, werden sie daran wachsen, eine herausfordernde Situation gemeistert zu haben. Das macht sie stolz und stärkt das Selbstvertrauen. Fangen Sie mit kurzen Zeiträumen an und verlängern Sie diese in kleinen Schritten.
Was halten Sie davon, schnell zum Bäcker zu laufen, wenn die Kinder gerade friedlich in ihrem Zimmer spielen?
Das sollte man tatsächlich niemals machen! Nicht einmal zur Mülltonne! Wenn das Kind plötzlich feststellt, dass es alleine ist, bekommt es Angst. Eine einzige solche Situation kann ein Trauma auslösen. Eltern sollten immer ankündigen, wenn sie gehen. Und wenn sie von „gleich wieder da“ sprechen, sollte das auch gleich sein.
Was geben Sie den Eltern in Sachen „andere nicht gefährden“ mit auf den Weg?
Ja, eine gute Frage. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, dass keine Feuerzeuge herumliegen und Fenster verschlossen sind. Es ist aber darüber hinaus wichtig, mit den Kindern Regeln zu vereinbaren und sich darauf verlassen zu können, dass diese auch eingehalten werden. Am Anfang kann es helfen, auszumachen, dass die Kinder etwas Ruhiges spielen, solange die Mutter einkaufen ist. Das kann zum Beispiel malen oder bauen sein. Die Ergebnisse können die Kinder dann hinterher präsentieren.
Julia Spätling ist Diplom-Heilpädagogin und Leiterin der Familienschule der Deutschen Familienstiftung Fulda.
Familienschule Fulda
„Starke Kinder brauchen glückliche und zufriedene Eltern für ein unbeschwertes Aufwachsen“, dafür steht die Familienschule Fulda, eine Einrichtung der Deutschen Familienstiftung.
Die Familienschule Fulda ist ein Ort, wo Eltern Antworten auf ihre Fragen bekommen, Kontakte knüpfen und hilfreiche Kurse von Geburtsvorbereitung über Eltern-Kind-Gruppen bis hin zu Selbsthilfe-Gruppen finden können.
Neben den genau auf die Bedürfnisse von werdenden und jungen Eltern abgestimmten Kursangeboten erhalten die Eltern familien- und partnerschaftsstärkende Hilfen zu Themen wie Sicherheit und Klarheit im eigenen Vorgehen, Alltagsgestaltung, Selbstpflege, Stress- und Zeitmanagement sowie verlässliche Unterstützung und Beratung bei unterschiedlichsten Problemen.