Kinder und Hunde sprechen nicht die gleiche Sprache
Gastbeitrag von Kinderchirurgin Dr. Stefanie Märzheuser
Kinder und Hunde können beste Freunde sein – gerade, wenn sie zusammen aufwachsen. Dass es aber selbst bei dem gutmütigsten Hund zu brenzligen Situationen kommen kann, berichtet Gastautorin und Kinderchirurgin Dr. Stefanie Märzheuser aus der Berliner Charité.
Lachend und mit ausgestreckten Armen läuft die dreijährige Karla auf den Schäferhundmischling der Oma zu. Der liebe „Dicke“, wie die Familie den Hund der Großmutter nennt, ist als gutmütig bekannt und schläft auf seiner Decke. Als Karla jedoch wie so oft mit ihm kuscheln möchte, schnappt der plötzlich aus dem Schlaf aufgeschreckte Vierbeiner erschrocken zu. Karla blutet an der Lippe und weint. Auch ihren Eltern jagt die Situation einen Riesenschreck ein.
Gemeinsam macht sich die ganze Familie sofort auf den Weg zu uns in die Rettungsstelle. Mutter und Vater sind völlig aufgelöst und kaum zu beruhigen, Karla weint bitterlich. „Wird unsere süße kleine Karla etwa bleibende Schäden zurückbehalten?“, sorgt sich die Mutter.
Während ich die Eltern beruhige, bekommt Karla ein Schmerzmittel, so dass ich mir in Ruhe das Ausmaß der Verletzung anschauen kann. Karla hat Glück im Unglück: Der Biss hat zwar eine klaffende Wunde hinterlassen, kann aber gut vernäht werden.
Es bleibt die Sorge der Eltern, dass Karla Tollwut bekommen könnte. Doch was das angeht, kann ich die Familie beruhigen. Deutschland gilt dank konsequenter Impfaktionen bei Haustieren und Füchsen schon seit Jahren als tollwutfrei. Ein Blick in das Impfbuch des Hundes bestätigt, dass er einen adäquaten Schutz erhalten hat.
Damit Karlas Eltern wissen, wie es nun mit ihrer Tochter weitergeht, erkläre ich ihnen die geplante Operation. Karlas Wunde wird in Narkose genäht werden. Wir verschließen heute Hundebisswunden auf die gleiche Weise wie andere Verletzungen. Karlas Mutter ist erleichtert. Sie hatte gehört, dass Hundebisswunden ausgeschnitten und nicht genäht werden dürften, weil das Entzündungsrisiko so hoch sei. Ich kann sie beruhigen: Mögliche Infektionen bekämpfen wir heutzutage mit Antibiotika, nicht, indem wir Gewebe wegschneiden und die Wunde offen lassen.
Nach der Operation sind die Eltern beruhigt. Viele zarte blaue Fäden erinnern an die schreckliche Verletzung aber eigentlich sieht Karla schon wieder fast genauso aus wie vorher und schon fünf Tage später werden die Fäden entfernt. Die Narbe behandeln wir mit einer Spezialsalbe, sodass Karla nur eine feine strichförmige Narbe zurückbehält.
Doch was sollte nun mit dem Hund geschehen? Nach langen hitzigen Diskussionen wird der „Dicke“ frei gesprochen. Er hat gebissen, weil Karlas Verhalten ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. Die Eltern fühlen sich schuldig, weil sie nicht darauf geachtet haben, dass Karla zum schlafenden Hund gelaufen ist und werden in Zukunft Kind und Hund besser im Auge behalten. Damit Karla keine Angst vor dem Hund bekommt, erklären sie ihr, warum der eigentlich doch liebe “Dicke“ in diesem Fall zugebissen hat.
Zur Autorin
Dr. Stefanie Märzheuser ist Kinderchirurgin an der Charité in Berlin und Präsidentin der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder e.V. Als Vorsitzende des Beirats begleitet sie die AXA Kindersicherheitsinitiative seit ihrem Beginn in 2013. Selbst Mutter von drei Kindern, kennt sie die Herausforderungen des Elternseins aus dem eigenen Alltag.