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Mutter mit Neugeborenem auf dem Schoß

Wochenbettdepression

Mutterglück oder Albtraum? Emotionen nach der Geburt

Die Geburt eines Kindes steht bevor. Eine erwartungsfrohe, zuversichtliche Zeit! Und wenn das Baby erst da ist, scheint das Glück vollkommen. Die meisten von uns haben bei diesem Ereignis genau solche Bilder im Kopf: Selig lächelnde Mütter, zufrieden glucksende Kindchen in kuscheligen Stramplern im Arm… Die Realität aber ist oft anders.

Depression nach Geburt

Etwa 50 bis 70 Prozent aller Frauen erleben nach der Entbindung im Wochenbett den sogenannten „Baby Blues“, Tage voller Tränen und Traurigkeit. Alleine in Deutschland sind jährlich etwa 1.000.000 Frauen davon betroffen. Diese Verstimmungen werden zwar als relativ normal angesehen und verschwinden nach ein paar Tagen wieder. Doch die meisten Mütter – und mit ihnen ihre Umgebung – werden davon regelrecht überrollt. Zehn bis 15 Prozent aller Frauen entwickeln in der Zeit nach der Geburt sogar handfeste Depressionen, die über Monate anhalten können. Was kaum jemand weiß: Selbst Väter sind davon betroffen. Eine Gefahr für Mutter und Kind, ja die gesamte Familie – Unterstützung und Hilfe ist deshalb dringend angeraten.

„Nahezu jede dieser Erkrankungen kann geheilt werden“, sagt unsere Expertin Ute Weber, Fachkrankenschwester für Psychiatrie. „Deshalb sind Aufklärung und ein frühes Erkennen dieser besonderen Formen von Depressionen so wichtig!“ Sie ist Mitarbeiterin der Wochenbett-Krisenhilfe der Deutschen Familienstiftung und begleitet viele Frauen durch diese schweren Zeiten.

Im Interview gibt die zweifache Mutter ihre Erfahrungen weiter:

Frau Weber, was treibt Sie an? Ist das eine Berufung?

Ja, das kann man schon so sagen. Allein, dass so viele Frauen davon betroffen sind – in Deutschland sind es jährlich etwa eine Millionen! – war Grund genug, die Wochenbett-Krisenhilfe für Stadt und Landkreis Fulda ins Leben zu rufen. Ich möchte aufklären. Ich will im Rahmen meiner Möglichkeiten helfen: dass betroffene Mütter wissen, dass sie kein Einzelfall sind, dass sie nicht allein sind – und schon gar nicht verrückt – und dass es eine Lösung für ihre Situation gibt! Denn wird die Depression erkannt und behandelt, hat sie eine gute Prognose: Heilung ist möglich. So kann ich dazu beitragen, einen langen Leidensweg für die gesamte Familie zu verhindern.

Wie entsteht Wochenbett-Depression? Was sind die Ursachen?

Das weiß man nicht hundertprozentig und die Ursachen sind individuell verschieden. Fachleute gehen von dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren aus, wie z.B. die Umstellung der Hormone im Körper, Angst, unbekannte Erfahrungen oder neue Aufgaben, durch die sich die Mütter überlastet fühlen. Gründe können auch traumatische Erlebnisse, Probleme im sozialen Umfeld, finanzielle Armut oder bereits vor der Geburt vorhandene psychische Leiden sein. Viele unterdrücken Gefühle wie Trauer, Wut oder Schmerz, solche Gefühle passen nicht ins Konzept von der glücklichen Mutter. Manche Frauen haben ihren Job aufgegeben, fühlen sich nun vom „Nur-Mutter-Sein“ intellektuell unterfordert und von der Außenwelt isoliert. Häufig spielt auch das Mutterbild eine Rolle und die Erwartungen, die die junge Mutter an sich selbst oder die andere an sie haben. Alles in allem bestimmt die Anzahl und die Stärke der einzelnen Belastungen das Ausmaß der nachgeburtlichen Krise. So muss jede Erkrankung unterschiedlich betrachtet und individuell angegangen werden.

Mögliche psychische Belastungen nach einer Geburt

  • postpartales Stimmungstief (Baby Blues, Heultage)
    Kurzfristiges Stimmungstief in den ersten 10 Tagen nach der Entbindung. Ungefähr 50 bis 70 Prozent aller Mütter sind davon betroffen. Es entsteht meist zwischen dem 3. und 5. Tag nach der Geburt und vergeht nach etwa einer Woche von selbst. Symptome: Stimmungsschwankungen, Traurigkeit, häufiges Weinen, starke Sorgen um das Kind oder auch mangelndes Interesse am Baby, Müdigkeit, Erschöpfung, Versagensängste, Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Appetitstörungen, Schlaf- und Ruhelosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten. Grund dafür ist vor allem die extreme Hormonumstellung. Ca. vier Tage nach einer Geburt fallen Östrogen- und Progesteronwerte im Körper ab, die Prolaktinproduktion für die Milchbildung nimmt zu. Hinzu kommen veränderte Lebenssituation, Reizüberflutung, Schlafmangel oder fehlende Ruhe. Hilfe für die Mütter ist in vielen Fällen: Verständnis, Aufklärung, Ruhe und Entlastung. Aufgefangen werden können sie von Familie, Freunden und Hebamme.
  • postpartale Depression, Wochenbettdepression (PPD)
    Die postpartale Depression kann jederzeit im ersten Jahr nach der Entbindung entstehen, in Abstufungen von leicht bis schwer. Typisch ist eine schleichende Entwicklung. Ungefähr 10 – 20 Prozent aller Mütter sind davon betroffen, aber auch Väter (siehe Interview!). Oft dauern die o.g. Baby Blues-Symptome dabei länger als eine Woche an und es kommen weitere Anzeichen hinzu: Energiemangel, Traurigkeit, Schuldgefühle, innere Leere, allgemeines Desinteresse und sexuelle Unlust, Schlaf-, Appetit- und Konzentrationsstörungen, Panikattacken, Ängste, extreme Reizbarkeit, ambivalente Gefühle dem Kind gegenüber, psychosomatische Beschwerden wie Kopf-, Schwindel- oder Herzbeschwerden, Zwangs- und/oder Selbstmordgedanken. Extrem selten (laut einer Studie ein bis zwei von 100.000 depressiven Müttern) begehen Frauen in diesem Zustand einen Infantizid – sie töten ihr eigenes Kind. Da diese Form der Depression eine Gefahr für Mutter und Kind sein kann, ist sie dringend behandlungsbedürftig. Zum Teil mit stationärer Unterbringung.
  • postpartale Psychose (PPP)
    Die postpartale Psychose entsteht vorwiegend in den ersten zwei Wochen nach der Entbindung. Sie kann sich aber auch aus einer Depression heraus entwickeln. Sie gilt als die schwerste Form der nachgeburtlichen Krisen und kommt bei einer bis drei von 1.000 Müttern vor: Es kommt zu Verhaltensänderungen, unbegründeten Ängsten und Denkstörungen. Manchmal treten auch Wahrnehmungsstörungen wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder das Hören von Stimmen auf. Meist beginnt die Erkrankung sehr abrupt und die Betroffenen sollten umgehend notfallmäßig in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden.

Daneben gibt es auch die posttraumatische Belastungsstörung, die eintreten kann, wenn die Entbindung als traumatisch empfunden wurde.

Wer ist denn in der Regel betroffen?

Die Krankheitsbilder selbst haben wir im Infokasten grob aufgeschlüsselt. Überwiegend sind Frauen betroffen. In der neueren Forschung wird aber auch von Wochenbettdepressionen bei Männern berichtet – laut einer Studie aus England sind 9% der Männer betroffen. Oft werden sie aber nicht ernst genommen oder gar nicht erst als solches erkannt. Anders als bei den Müttern äußern sie sich bei Vätern eher durch Aggressivität und Gewaltausbrüche. Laut Studien aus England und den USA haben rund 10 Prozent der jungen Väter in den ersten Wochen nach der Geburt Gefühle wie Traurigkeit, Angst, Schlafstörungen oder kein Interesse an Sex. Gefährdeter sind dabei Männer, deren Frauen auch unter Symptomen leiden. Bei fünf Prozent der Väter dauert dieser Zustand bis zu einem halben Jahr lang an. Ein Auslöser scheint z.B. Schlafmangel zu sein. Zudem verändert sich auch der Hormonspiegel von Vätern nach der Geburt. Die nachgeburtliche Depression trifft übrigens Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, soziale Unterschiede kennt diese Krankheit nicht.

Was sind die Gefahren bei einer Wochenbettdepression?

Erstens ist die Diagnose oft nicht einfach, da sich die Symptome meist nicht klar von normalen Stimmungs- oder Verhaltensänderungen nach einer Entbindung abgrenzen lassen. Deshalb werden postpartale Depressionen häufig zu spät oder gar nicht erkannt. In einzelnen Fällen kann das psychische Leid bei fehlender Therapie so groß werden, dass es bei den betroffenen Frauen zu Selbstmordgedanken oder -versuchen kommt. Hinzu kommt der Rest der Familie: Bei einer solchen Erkrankung ist immer das gesamte Umfeld betroffen. Experten gehen davon aus, dass eine Vernachlässigung von Säuglingen in den ersten Lebensmonaten erhebliche Entwicklungsverzögerungen zur Folge haben kann. Die Gefahr ist eine gestörte Beziehung zwischen Mutter und Kind.

Wie sind die Aussichten auf Hilfe oder Heilung?

Zum Glück sehr groß! Bei nahezu allen Betroffenen klingen die Depressionen mit der richtigen Behandlung wieder vollständig ab. In der Situation selbst können die Frauen oft gar nicht glauben, dass es ihnen bald besser gehen kann. Der Weg dorthin ist sehr leidvoll. Diese Frauen sind unbedingt auf Hilfe von außen angewiesen. Das kann einerseits direkte Hilfe bei der Kinderbetreuung oder im Haushalt von Seiten der Familie oder Familienhelfer sein. Andererseits geben Selbsthilfegruppen Unterstützung. Wichtig ist zudem das Hinzuziehen von Fachleuten. Je früher erkannt wird, dass eine Frau erkrankt ist und je früher Hilfe aufgesucht wird, desto besser sind die Heilungschancen.

Welche Hilfsmaßnahmen gibt es?

Je nach Depressionstiefe, Untersuchungsergebnissen und persönlichen Vorlieben können verschiedene Wege der professionellen Behandlung eingeschlagen und auch miteinander kombiniert werden: Psychotherapie, Psychopharmaka-Therapie, Hormontherapien, naturheilkundliche Therapien, alternative Therapien wie Musik- oder Kunsttherapie, stationäre Behandlung… Der einzuschlagende Weg richtet sich nach dem Wunsch der Frau. In leichten Fällen kann es schon genügen, sich auf Selbsthilfe zu beschränken. Bei mittelschweren Depressionen kann Selbsthilfe begleitend eingesetzt werden, es empfiehlt sich unbedingt Fachleute hinzuzuziehen. Bei einer schweren postpartalen Depression oder gar Psychose ist eine sofortige professionelle Hilfe absolut notwendig. In einigen Fällen ist auch ein Klinikaufenthalt angezeigt, um das Leben von Mutter und Kind zu schützen.

In meiner Beratung werden im Idealfall Partner und Familie mit einbezogen. Information, Aufklärung und die Suche nach Lösungen und Entlastungsmöglichkeiten wie zum Beispiel Familienhilfe oder -pfleger sind wichtig und erarbeite ich immer individuell mit den Frauen. Bei ausgeprägten Depressionen kann begleitend eine medikamentöse Therapie mit Antidepressiva nötig sein. Wichtig ist hierbei die Aufklärung für stillende Mütter. Denn es gibt gut verträgliche Medikamente, die ein Abstillen nicht notwendig machen.

Hier finden Sie eine Checkliste mit Tipps, was Sie selber tun können:

Checkliste für junge Mütter

  • Ruhen Sie sich zwischendurch immer wieder aus, und versuchen Sie, möglichst viel zu schlafen.
  • Sie müssen nicht perfekt sein. Tun Sie nicht mehr als möglich.
  • Bitten Sie nahestehende Personen um Hilfe, z.B. im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung.
  • Reden Sie! Sprechen Sie mit Ihrem Partner und Freunden über die Dinge, die Sie beschäftigen und belasten.
  • Sie sind nicht nur Mutter: Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für sich.
  • Treffen Sie sich mit anderen Müttern, tauschen Sie sich aus. Das tut gut und Sie werden feststellen: Sie sind nicht alleine!
  • Schließen Sie sich einer Stillgruppe oder Selbsthilfegruppe für neue Mütter an.
  • Eine Geburt ist Veränderung genug. Muten Sie sich erst einmal nicht zu viel zu und vermeiden Sie tiefer gehende Lebensänderungen, während oder nach Ihrer Schwangerschaft.
  • Reden Sie mit Ihrem Arzt. Entscheiden Sie gemeinsam, ob Sie Medikamente oder fachliche Hilfe wie eine Psychotherapie brauchen.

Gibt es Präventionsmaßnahmen, um auf eine Krise während der Schwangerschaft oder danach vorbereitet zu sein?

Gut ist es auf alle Fälle, sich schon im Vorfeld damit auseinander zu setzen und mit dem Partner darüber zu sprechen. Denn generell sollte jeder Frau bewusst sein, dass sie in eine postpartale Krise kommen kann. Wichtig zu wissen ist, dass sie keine Schuld daran hat! Der beste Boden ist, einen guten sozialen Rückhalt zu haben: Eine verstärkte Unterstützung durch Partner und Familie kann dabei helfen, das Risiko von Depressionen nach der Entbindung zu verringern. Um depressive Reaktionen zu vermeiden, sollten auch die eigenen Erwartungen an die Mutterrolle nicht zu hoch gesteckt werden. Das Bild der immer glücklichen und sorglosen neuen Mutter ist hier wenig hilfreich.

Frauen, die bereits vor oder während der Schwangerschaft unter Depressionen litten oder bei denen eine Vorbelastung in der Familie besteht, sollten sich möglichst früh mit dem Thema auseinandersetzen und die Hilfe von Experten in Anspruch nehmen. Auch Frauen, die unter dem prämenstruellen Syndrom (PMS) leiden, bekommen mit größerer Wahrscheinlichkeit eine PPD als andere Frauen.

Die Wahrscheinlichkeit, bei der weiteren Entbindung wieder zu erkranken, liegt übrigens bei 20 bis 50 Prozent. Deshalb sollten die betroffenen Frauen ihre behandelnden Gynäkologen und Hebammen unbedingt informieren und dafür sorgen, dass psychologische und/oder psychiatrische Hilfe bereitgestellt wird. So kann schon vorab rechtzeitig ein persönlicher Krisenplan festgelegt werden.

Herzlichen Dank, Frau Weber, für die wertvollen Informationen und guten Ratschläge, die bestimmt vielen betroffen Frauen Hoffnung geben!

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